„Die Welt aus den Angeln“: Historiker, Philosoph und Autor Philipp Blom über die Zeit im Wandel und Zukunftsaussichten. „Demokratien sind die historische Ausnahme, nicht das Ziel der Geschichte“, meint Blom in seiner Geschichte der Kleinen Eiszeit („Die Welt aus den Angeln“). Das Klimaphänomen suchte die Nordhalbkugel während des 17. Jahrhunderts heim und wird verantwortlich gemacht für gesellschaftliche Verwerfungen aller Art, mit dem Dreißigjährigen Krieg als grausamem Höhepunkt. Eine Folie für die Klimakrise der Gegenwart, ihre Folgen und ihre Bewältigung?
Von Verena Daum (Journalistin, Autorin, www.progression.at, der Artikel ist in der Extra-Ausgabe „VN-Klimaschutzpreis 2022“ der Vorarlberger Nachrichten am 19.3.22 erschienen)
Zusammenbrüche sind nie das Ende, meint Blom; aus Krisen entsteht immer etwas Neues, auch wenn es unsere Weise zu leben und zu wirtschaften radikal in Frage stellen wird. „Was auf dem Spiel steht? Alles! Menschen lernen nicht aus der Geschichte, aber sie reagieren auf Traumata, sagt der in Wien lebende deutsche Journalist, Historiker und Philosoph Philipp Blom im Mai 2021 via SFR Kultur. „Die Lehren aus dem 30-jährigen Krieg haben wir verloren. Die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg verlieren wir gerade. Soziale Umverteilung, internationaler Zusammenhalt, Menschenrechte, Friedenssicherung werden zum Thema für zwei bis drei Generationen nach der Traumatisierung.“
Wir sind Teil der Natur
Wir befinden uns laut Blom am Ende von 3000 Jahren Kulturgeschichte, an deren Anfang das göttliche Gebot „Macht euch die Erde untertan!“ stand. Aufklärung, Industrialisierung und Kolonialismus folgten diesem Glauben. „Gerade im Westen haben wir uns dahin entwickelt, dass wir glauben, wir Menschen stehen über der Natur. Wir sehen uns nicht als Säugetiere oder Primaten, sondern als etwas, das außerhalb steht. Wir haben kein instinktives Verhältnis zur Natur. Wir nehmen uns einfach heraus was wir brauchen. Doch die Natur schlägt zurück.“ Wir sind Teil der Natur, abhängig und verletzlich. Für Blom ist klar: „Unser Selbstbild und unser Wirtschaftssystem sind bankrott. Wir brauchen ein neues Lebensmodell für die Zukunft. Im einem endlichen System gibt es kein endloses Wachstum. Alle Errungenschaften in Forschung und Technik sind nichts, wenn wir unsere Lebensgrundlage zerstören.
Rechte sind Fiktion
„Die ethischen Gesellschaften, die wir wollen, die hängen davon ab, ob wir in eine Naturkreislaufwirtschaft umsteuern können.“ Rechte sind für Blom Fiktion, wie etwa die Menschenrechte: „Umbruch wird sichtbar wenn wir Naturgesetze erkennen, achten und mit ihnen leben. Welches Recht haben wir, Tiere in Produktionsfabriken zu stecken, Tiere leiden, warum hat das Ökosystem kein Recht zu funktionieren?“ In konstruktiver globaler Zusammenarbeit müssen unsere Lebensgrundlagen entgiftet und grüne Infrastruktur errichtet werden. „Wir stehen am Ende der 3000 Jahre ,macht euch die Erde untertan’ mit Ausbeutung, Gewalt und Zerstörung. Wir haben Wissen und lernen über Organismen wie Bäume und Pilze, die existieren, weil sie zusammenarbeiten, sich ergänzen als Teil eines großen Ganzen. Das ist die Logik der Kollaboration, die Natur funktioniert so, auch wir müssen das als Teil der Natur, dann würden sich auch Menschenbild und Politik ändern – Kollaboration statt Domination.“
Infos: https://philipp-blom.eu, Video „Die Natur schlägt zurück“ http://VN.AT/suldfY
Der Artikel „Die Welt aus den Angeln“ ist in der Extra-Ausgabe „VN-Klimaschutzpreis 2022“ am 19.3.22 erschienen.