Salzburg, Wien, Brüssel – „Der derzeitige Welthandel wird immer mehr zum Selbstzweck und walzt die eigentlichen Ziele und Werte aggressiv nieder. Die Krise der internationalen Handelspolitik ist eine Chance, das aktuelle System aus WTO, bilateralen Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen (BITs) und Handelsschiedsgerichten (z. B. ICSID) grundlegend zu überdenken“, sagt der Initiator der Gemeinwohlökonomie, Universitätslektor und Buchautor Christian Felber. „Zwischen Chlorhühnchen und Bretton Woods ist es ein mächtiger Spagat, die ,logische‘ Hochzeit zwischen Ricardo und Keynes – ohne diese praktisch vorzuschlagen-, die Spannung zwischen Lokalisierung und Globalisierung – das waren ganz feine Gedankenreisen, die mich bei meiner politischen Arbeit seit nunmehr 20 Jahren begleiten und die ich jetzt in einem Guss zu Papier bringen durfte. Freihandel und Protektionismus, so sehr sie uns beschäftigten, sind gleich starke Fantasmen und gleich sinnlose Positionen.“ Ein Interview mit Christian Felber zu seinem neuen Buch „Ethischer Welthandel“ (www.ethischerwelthandel.info).

Von Verena Daum

„Freihandel und Protektionismus zwinkern uns geradezu zu: Wir wollen Euch nur ablenken von integrierten Lösungen, die Sinn ergeben. Wir wollen Euch davon abhalten, auf die Idee eines ,Ethischen Welthandels‘ zu kommen. Ich habe mein Bestes gegeben, das Buch ist jetzt erhältlich, mögen seine inhaltlichen und prozessualen Vorschläge fruchtbar werden. Ich entzaubere die ,Freihandelsreligion‘ und schlage eine vollständige und kohärente Alternative vor“, erläutert Felber.

Ethischer Welthandel im Schoße der UNO

„Handel wird im neuen Paradigma konsequent als Mittel betrachtet, das den eigentlichen Zielen der Politik dient: den Menschenrechten, nachhaltiger Entwicklung, Verteilungsgerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt und kulturelle Vielfalt. Ich baue auf alternativen TheoretikerInnen wie Dani Rodrik, Ha-Joon Chang, Vandana Shiva, Helena Norberg-Hodge, Susan George oder George Monbiot auf und webe die Ansätze zu einem kohärenten Alternativmodell zusammen“, sagt der Autor. „Das multilaterale ethische Handelssystem soll, von der EU ausgehend, in der UNO angesiedelt sein und aus dem wichtigen, aber „soften“ Völkerrecht hartes und einklagbares machen.“

Für eine gerechte und demokratische Weltwirtschaftsordnung

„Damit geht es endlich zurück vom Washington Consensus zu einer gerechten und demokratischen Weltwirtschaftsordnung. Eine zentrale Rolle könnten dabei die Souveräne – die von der Handelspolitik in Nord und Süd betroffenen Menschen – spielen. Meine Idee zu ,kommunalen Handelskonventen‚ gibt allen, die nach dem wichtigen Protest gegen TTIP und CETA in die Gestaltung gehen wollen, ein konkretes und lokal umsetzbares Werkzeug in die Hand“, erklärt Christian Felber.

Christian Felber im Interview zum neuen Buch „Ethischer Welthandel“:

Ist der Welthandel, wie wir ihn derzeit betreiben, nicht ethisch?

Christian Felber: Das wäre er, wenn er die Menschenrechte fördern, eine nachhaltige Entwicklung unterstützen und demokratischen Handlungsspielraum belassen würde. Der Welthandel wird jedoch nicht als Mittel genützt, um diese höheren Politikziele zu erreichen, sondern er wird immer mehr zum Selbstzweck. Dabei walzt er die eigentlichen Ziele und Werte immer aggressiver nieder. Das beginnt nur damit, dass Produkte aus Umweltzerstörung, Ausbeutung und Kinderarbeit mit Fair-Trade-Produkten zu gleichen Konditionen konkurrieren dürfen. Beim „freien“ Spiel zwischen Fair- und Foul-Playern setzen sich die Foulplayer durch. Die Handelspolitik eskaliert aber gegenwärtig in Form von Knebelung von Demokratien und der Ausstattung der Global Players mit direkten Klagerechten gegen Staaten. Man muss das Unwort „marktkonforme Demokratie“ noch ausweiten auf „handelskonforme Demokratie“. Das ist unethischer Welthandel.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat der neue US-Präsident die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTP abgebrochen. Erfüllt der Multimilliardär damit die Wünsche der FreihandelskritikerInnen?

Christian Felber: Nur insoweit, als er aus der Glaubensgemeinschaft des bedingungslosen Freihandels ausschert, was zu seinem Wahlsieg beigetragen hat. Aber die Motive, mit denen er dies tut, sind ganz andere als derjenigen, die den Protest gegen TTP seit sechs Jahren sorgfältig aufbereitet haben und den Trump nun billig aberntet. Trump setzt nationale Aktzente und hat dabei keine Vision eines fairen, gerechten, nachhaltigen und egalitären Welthandelssystems. Oder auf den Punkt gebracht: Anstatt von der WTO in die UNO zu wechseln, ist ihm zuzutrauen, dass er aus beiden Systemen aussteigt. Das ist eine nationale Strategie, die sich vom globalen Bewusstsein und der Vision eines ethischen Welthandelssystems diametral unterscheidet.

Haben wir aus der großen Finanzkrise, aus den Turbulenzen auf den Finanzmärkten der letzten Jahre, aus den Schwierigkeiten der großen Banken bisher gar nichts gelernt?

Christian Felber: „Wir“ sind kein Monolith, das ist das Problem. Die Bevölkerung würde, wenn sie das direkt entscheiden könnte, Banken eine Größengrenze vorgeben, sie auf Gemeinwohl-Orientierung ausrichten, Kredite an die Realwirtschaft binden, die Geldausgabe den Zentralbanken übertragen, Spekulation weitgehend verbieten und den Kapitalverkehr in Steueroasen regulieren. Doch dieses „Wir“ des demokratischischen „Souveräns“ darf nur alle paar Jahre eine Partei wählen, deren weltanschauliche Ausrichtung sich von der Basis bis zur Spitze um 180 Grad drehen kann, in der Mangel der kapitalistischen Korruption und – mit CETA und TTIP – zusätzlich noch der „Regulatorischen Kooperation“. Neue Gesetze können abgeschreckt („chilling effect“), verwässert („Regulatorische Kooperation“), geklagt (ISDS) oder kurzerhand entsorgt werden, wie das Trennbankensystem durch die Administration Bill Clinton. 

Der Widerstand gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA wächst an sehr vielen verschiedenen Fronten, Zweifel und Skepsis kommen aus sehr verschiedenen politischen Richtungen. Wie erklärst du dir das?

Christian Felber: Zum einen machen immer mehr Menschen die Erfahrung, was „Freihandel“ wirklich bedeutet: Arbeitsplätze werden prekärer oder wandern ab, die Ungleichheit steigt, Konzerne werden immer mächtiger, Mehrheiten werden pausenlos erpresst mit dem Argument des „Standortwettbewerbs“. Zum anderen bröckelt das argumentative Gebäude der „Freihandelsreligion“: Immer mehr begreifen, dass sich hinter dem Euphemismus „Freihandel“ ein totalitäres Zwangshandelssystem verbirgt. „Freihandel“ bedeutet letztlich, dass das Mittel Handel zum Selbstzweck und damit über die eigentlichen Ziele gestellt wird: Menschen- und Arbeitsrechte, Gesundheit, KonsumentInnenschutz, gerechte Verteilung, Umwelt und Klima oder kulturelle Vielfalt. Und da der Handel und Investorenrechte allem anderen übergeordnet werden, regt sich der Widerstand gegen Freihandel auch überall: von Gewerkschaften bis zu KMU, von Umweltschützern bis zu den Bauern. Selbst der deutsche Richterbund hat sich ablehnend zu CETA geäußert.

Wie soll der weltweite Handel in zehn Jahren geregelt sein?

Christian Felber: Die Freihandelsabkommen von CETA bis zur WTO sind Geschichte. Stattdessen wurden neue Regeln im Rahmen der UNO geschaffen – in Abstimmung mit den Menschenrechten, Arbeitsrechten, sozialer Sicherheit, Steuergerechtigkeit, nachhaltiger Entwicklung und Klimaschutz. Staaten und Unternehmen, welche diese Ziele schützen und fördern, handeln freier miteinander; und Staaten und Unternehmen, welche diese Ziele gefährden, haben geringeren Zugang zum Weltmarkt. Handel wird als Mittel gesehen, nicht als Selbstzweck. Das bedeutet, dass Länder sich ganz unterschiedlich öffnen dürfen, niemand drängt sie dazu. Allerdings verpflichten sich alle zu ausgewogenen Handelsbilanzen, um das Ganze im Gleichgewicht zu halten. Der internationale Handel wird in einer globalen Komplementärwährung verrechnet – eine Idee von Keynes – womit die Handels- und Währungspolitik endlich eins werden. Und globale Stabilität und Gerechtigkeit eine neue Chance erhalten.

Personalia Christian Felber:

Christian Felber lebt als international gefragter Referent, Autor und Universitätslektor in Wien. Der 1972 geborene Salzburger studierte Spanisch, Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft in Madrid und Wien. Er hat Attac Österreich mitbegründet und initiierte 2010 die internationale Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung sowie das Projekt „Bank für Gemeinwohl“.
Der zeitgenössische Tänzer hat mehrere Wirtschaftsbestseller („50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“, „Neue Werte für die Wirtschaft“, „Gemeinwohl-Ökonomie“, „Retten wir den Euro!“) publiziert. Der Titel „Geld. Die neuen Spielregeln“ wurde als Wirtschaftsbuch des Jahres 2014 ausgezeichnet. Zudem erhielt er weitere Preise in Chile, Spanien und Österreich. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist für den ZEIT WISSEN-Preis 2017 „Mut zur Nachhaltigkeit“ nominiert.

Neues Buch von Christian Felber, dem Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie:
Ethischer Welthandel – Eine Alternative zu Freihandel und Protektionismus

Christian Felber: ETHISCHER WELTHANDEL – Alternativen zu TTIP, WTO & Co

160 Seiten. Klappenbroschur, € 18,– (D) / € 18,50 (A)
ISBN 978-3-552-06338-9, Auch als E-Book erhältlich
WG: 970 Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
www.ethischerwelthandel.info
https://www.youtube.com/watch?v=EdKUvyfmM1Y